Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford - Kritik | Film 2007 | Moviebreak.de (2024)

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Der große, unausweichliche Höhepunkt des Films, nämlich die titelgebende Ermordung von Jesse James (Brad Pitt, 12 Years a Slave) durch Robert Ford (Casey Affleck, Manchester By the Sea), schmiegt sich in ihrer genreinhärenten Bedeutung der klassischen Dramaturgie des Western an: Auch in den Klassikern von John Ford (Der schwarze Falke) oder Sergio Leone (Spiel mir das Lied vom Tod) stellte der Showdown die entscheidenden Weichen für die Zukunft. Es ist, wenn man so möchte, der einzige Aspekt, den Andrew Dominik (Killing Them Softly) den Erzählprinzipien des urwüchsigen Genres entnimmt – und doch reproduziert er diesen nicht, sondern schenkt ihm eine neue Sichtweise, eine neue Identität. Denn die Ermordung steht hier nicht in Relation mit der Auslöschung des etwaigen Bösewichts. Sie steht hier nicht für die Katharsis des Protagonisten.

In Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford wird die traditionelle Typologie des Western außer Kraft gesetzt. Jesse James, der sich zu den ersten Menschen zählen durfte, die durch die Medien (künstlich) aufgebauscht wurden, ist kein Held, auch wenn die Öffentlichkeit etwas anderes zu sagen versucht. Als Dreh- und Angelpunkt unzähliger Groschenromane wurden die Abenteuer des edelmütigen Outlaws weitreichend bekannt. Kinder trugen irgendwann seinen Namen, man bezahlte sogar Geld dafür, um James' Geburtshaus besichtigen zu dürfen. In Wahrheit allerdings ist Jesse James kein abgebrühter Teufelskerl, kein Revolverheld aus Schundromanen, sondern ein manisch-depressiver Schatten seiner gesellschaftlichen Wahrnehmung. Ein Mensch, der mit 34 Jahren bereits vollkommen ausgebrannt und von einer Todessehnsucht umklammert ist, die durch seinen Blick bis weit in die Eingeweide seiner Gesprächspartner getragen wird.

Und hier tritt Robert Ford auf den Plan: 20 Jahre jung. Glühender Verfechter der Heldenmär um Jesse James. Vielmehr noch. Robert Ford ist ein wandelndes Jesse-James-Lexikon und betet alle Gemeinsamkeiten aus dem Stegreif herunter, die ihn und sein großes Idol einen. Als Ford die Chance bekommt, in die Bande von James aufgenommen werden, verbringt er seinen Alltag damit, den lebensmüden Räuber en detail zu studieren. Jedes Wort, jede Geste, jede Regung wird aufgesaugt, bis Ford James wie ein Parasit endgültig ausgesaugt hat. In einer entscheidenden Szene wird Ford gefragt, ob er nur so sein möchte wie Jesse James oder ob er tatsächlich Jesse James sein möchte. Natürlich kann er darauf nicht antworten, denn die Wahrheitnötigt eine Überwindung ab, der der schmierige, fiebrige und in seiner anbiedernden Penetranz abstoßende Ford nicht gewachsen ist.

Aber ist er, Robert Ford, wirklich ein Feigling, nachdem er seinem Vorbild von hinten eine Kugel verpasst hat? Die Fakten sprechen dafür, aber Andrew Dominik ist ein zu brillanter, präziser und tiefbohrender Filmemacher, als dass er dieser vor Intensität berstenden Ermordung eine viel größere Tragweite in ihrer Aussage negieren würde. Denn dieser Höhepunkt, der in anderen Western der ultimative, von Pathos überschwemmte Standoff gewesen wäre, ist in Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford einer der wenigen Momente, in dem sich Robert Ford und Jesse James emotional wirklich nahe kommen. Es ist kein hinterhältiger Akt, den Ford begeht, nein. Er erlöst Jesse James, nachdem dieser ihm mit dem Ablegen seines Revolvergürtels – und Jesse James legt seinen Revolvergürtel niemals ab - demonstrativ darum gebeten hat.

Es ist der Schlusspunkt einer Reflexion über Starpersona und Stalking im 19. Jahrhundert. Jesse James möchte zur Ruhe kommen, seine Prominenz allerdings ermöglicht es ihm nicht. Robert Ford ist Ebenbild eines obsessiven Fans, der sich vollkommen in der Illusion seines Angebeteten verstrickt hat – und umso härter auf dem Boden der Realität aufschlägt, als er bemerkt, dass der Mythos auf Verklärung basiert. Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford begreift sich als dreistündige Psychoanalyse, die sich in elegischen, von Roger Deakins Meisterhand komponierten Fotografien damit auseinandersetzt, wie es im Zuge jener historischen Tage war, als Legenden keine Chance mehr genossen, bestehen zu bleiben. Überdauern zu können. Dominik Andrews majestätisch gefilmtes Epos ist die Dekonstruktion der Sagengestalt sowie der Ideale des Wilden Westen. Helden wollen sterben, ihre Verfechter wollen sich deren Ruhm zu eigen machen.

Denn nachdem Ford James erschossen hat, rekapituliert er auf den Bühnen der Stadt hunderte Male seine Tat und erlangt dadurch sowohl Bekanntheit als auch den Titel 'Feigling'. Aber, wie erwähnt, wer sich wirklich mit Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford beschäftigt, wird erkennen, dass Robert kein Feigling ist, sondern ein junger Mann, ein halbes, von Enttäuschung und Verwirrung gegeißeltes Kind, welches keine Wahl hatte. Weder von außen, denn dort wurde ihm vom Gouverneur ein Ultimatum gestellt. Noch von innen, war Robert Ford doch noch zu unerfahren, zu unbedarft, als dass er sich die Möglichkeit entgehen lassen konnte, die Anerkennung für sich sausen zu lassen, der er seit jeher hinterher eiferte. Und doch hat er, vielleicht auch unbewusst, etwas Mitmenschliches getan. Er hat einem Menschen dort geholfen, wo ihm selbst die Hände gebunden waren – nämlich endlich sterben zu können.

Dieses introspektive, ungemein kontemplative Charakter-Porträt zweier Männer, deren Wesen gleichermaßen fragil waren, überflutet die Leinwand mit tonnenschwerer Melancholie. In jeder Einstellung, jeder Aufnahme, steckt eine existentielle Traurigkeit, die Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford gleichermaßen anmutig, bedrückend und wahrhaft meditativ gestaltet. Während die virtuosen Panoramaaufnahmen einer vom Wind aufgescheuchten Natur eine gewisse Wehmut und Sehnsucht dahingehend formuliert, die allseits popularisierten Legenden doch einfach bewahrheiten zu können, sind es die Landschaften in den vom Leben gezeichneten Gesichtern des brillant aufspielenden Ensembles, in denen binnen minimaler Bewegungen die Offenheit gegenüber des eigenen Seelenbefindens wartet. Neid, Selbstzerstörung, zerplatzte Träume, der Wunsch nach Respekt, Existenzüberdruss und womöglich auch eine stille, homoerotische Leidenschaft, die schlussendlich im Mord gipfelt. Kunstfertiger jedenfalls durften psychologische Spannungen das Kino lange nicht mehr elektrisieren.

Fazit

Mit "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" hat Andrew Dominik eines der größten Werke unserer Zeit geschaffen. Eine Dekonstruktion des Western, eine Reflexion über die Last der Starpersona und eine kontemplative Meditation über zwei Männer, die sich gerade in ihrer Zerbrechlichkeit nahe standen. Psychologisch tiefschürfend, brillant gespielt, kunstfertig fotografiert. Ein überlebensgroßes, herausfordendes und gleichermaßen die Sinne wie den Geist bereicherndes Meisterwerk.

Kritik: Pascal Reis

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